Marie von Heyl: Der Leviathan

Der Leviathan ist uns als gewaltiges Untier bekannt, welches im Meer lebt. Wir finden ihn in der Bibel, am häufigsten taucht er im Buch Hiob auf , ist aber auch in den Psalmen und bei Jesaja vertreten. Seine Ursprünge hat er allerdings im Kanaanäisch - Ugaritischen, in welchem sich auch Babylonisches und Ägyptisches vermengen. Liwyatan ist die hebräisierte Form des kanaanäischen Iitanu (ltn), der von Baal bezwungen wird. Der hebräische Leviathan ist gewaltiger als der biblische, weil er auch in der vor- und nebenbiblischen Tradition zuhause ist.
Das Wort Leviathan lässt sich aus dem Hebräischen ableiten und bedeutet soviel wie "gewunden" oder auch "das Geringelte". In der Bibel wird er als Ungeheuer, Schlange , Drachen beschrieben (Jesaja 27,1). Sein Name kennzeichnet gleichzeitig eine Bewegung, die das Meer bedeuten kann, das sich um den Planeten legt, aber auch die Ewigkeit in ihrer Spiralenform. Auf jeden Fall aber veranschaulicht er die Gestalt der Bestie, die sich aber nicht genau beschreiben lässt, denn Leviathan ist Drache, ein- oder mehrköpfige Schlange, Krokodil oder auch überdimensionaler Fisch bzw. Wal. Er ist die von Gott besiegte Verkörperung des Chaos, des Teufels oder des Antichrists.

I.1 DER NATURALISTISCHE LEVIATHAN



Oft wird Leviathan gemeinsam mit Behemoth beschrieben, einem weiteren Biest Gottes. Wenn der Leviathan im alten Testament als Krokodil bezeichnet wird ist Behemoth das Nilpferd. Nach Plutarch sind diese beiden die "grausamsten" aller wilden Tiere.
In der Tat wurde das Krokodil, als fleischfressende Echse vom Menschen immer gefürchtet und zum Beispiel in Ägypten nicht nur getötet sondern als Gottesfeind zu Tode gemartert.

Der Stich von William Blake (Fig. 1) ist von 1825 und illustriert eine Szene aus dem Buch Hiob. Krokodil und Nilpferd sind hier in Leviathan und Behemoth noch deutlich zu erkennen.

I.2 CHAOSKRAFT



Immer wenn ein schreckliches Ungeheuer die Erde unsicher macht, steckt eine Urangst des Menschen gegenüber dem Chaos und der Naturgewalten dahinter. Der Leviathan lebt nicht nur im Meer, er ist das Meer. Er war es schon vor der Trennung der Wasser in der Schöpfungsgeschichte. Er verkörpert die Urflut, die einst die ganze Erde bedeckte. Erst durch die Trennung der Wasser ist das Chaos gebändigt und das Leben auf der Erde wird für Mensch und Tier möglich. Gott hat also aufgeräumt, Ordnung geschaffen. Die Allmacht Gottes ist hier nicht in Frage gestellt, aber das Ungeheuer ist nicht vernichtet, es bäumt sich immer wieder gegen die Herrschaft Gottes auf und wird erst in der Endzeit besiegt werden. Immer wenn ein Gebiet überflutet und verwüstet wird ist das wieder der Fall. So kann er auch als Werkzeug Gottes auftreten, der ihn ja gezähmt hat , zum Beispiel in Form einer alles vernichtenden Sintflut. Oder aber das Tier muss sich demutsvoll erweisen unter der Herrschaft Gottes und sich zurückziehen, zum Beispiel bei der Teilung des roten Meeres bei der Flucht der Hebräer aus Ägypten.

Bei Jesaja 51,9ff. heißt es:

"Du warst es doch,
der den Drachen Rahab (=Leviathan) durchbohrt und zerteilt hat.
Du warst es,
der das Urmeer austrocknen ließ.
Und Du warst es ,
der mitten durch das Meer einen Weg bahnte,
damit Dein befreites Volk durchziehen konnte!"

Die Spaltung des Drachen steht also für die Teilung von Wasser, die der Urwasser und die des roten Meeres. Dahinter steht aber auch der im Alten Orient verbreitete Gedanke des Chaoskampfes. Mardug z.B. kämpft mit Tiamat, seiner Mutter, dringt in sie und spaltet sie, wobei Himmel und Erde entstehen. Im ugaritischen Mythos kämpft Baal gegen Cham (=Meer). Der Kampf mit dem Leviathan steht dem Chaoskampf also sehr nahe, kann aber im monotheistischen Glauben nicht dieselbe Rolle einnehmen, da die Gegner nicht gleichwertig sind. Der Einzige muss das Untier erst erschaffen haben, da er alles erschaffen hat.

I.3 TEUFEL UND ANTICHRIST



In der jüdisch-christlichen Apokalyptik wird der Leviathan mit dem Teufel, dem absolut Bösen, gleichgesetzt. In der jüdischen Apokalyptik ist er der Gegen-Messias, in der christlichen der Anti-Christ.
Als Chaosmacht war der Drache zwar gewaltig und furchteinflößend aber nicht zwangsläufig böse, das Chaos kann nicht gut oder böse sein, es birgt Beides in sich.Nun bekommt der Drache eine einseitigere Funktion. Allerdings war Satan, der gefallene Engel nicht von Anfang an böse, er ist es erst geworden, deswegen ist sein Böses ehemals Gutes. Das lässt darauf schließen dass beides in Beidem enthalten ist.
Ein Bild aus dem Hortus delicarium, 12. Jhdt., zeigt Gottvater, der den Drachen mit der Christus-Angel fängt (Fig. 2).

Bei Hiob40,25 ff wird dieser Vorgang beschrieben. Um ihm seine Nichtigkeit angesichts Gottes zu veranschaulichen fragt dieser Hiob:

"Ziehst Du den Leviathan an der Angel herauf,
hältst mit der Schnur seine Zunge fest?
Legst du Haken in sein Maul,
durchbohrst mit dem Ring seine Backe?"

Während in frühen Abbildungen Gottvater den Leviathan mit einer gewöhnlichen Angel fängt, wird daraus später die Christus-Angel. Was einst allein durch Gott erledigt wurde braucht nun den Gottessohn als Bindeglied, es fallen also auch Leviathan und Anti-Christ zusammen.
Gott legt einen fleischlichen Körper aus, in dessen Gliedern aber das Geistige in Person Gottes selbst steckt. Das wird dem Drachen zum Verhängnis. Hier scheint eine Warnung für den Menschen enthalten zu sein, der oft zu sehr an Materiellem hängt. Mit dem Köder schluckt der Leviathan den Angelhaken, er wird von innen überwältigt (wie Tiamat von ihrem Sohn).
Auf der Abbildung des Hortus Delicarium besteht die Angelschnur aus Vorfahren Christi, der erste ist Adam. Am Ende der Schnur hängt das Kreuz Christi , am unteren Ende wie ein Angelhaken gebogen, es erinnert an einen Anker. Christus selbst hängt wiederum daran, und scheint leichte Beute zu sein. Aber bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sich der Haken schon durch den Rachen des Tieres gebohrt hat. Sein Maul ist weit geöffnet, ursprünglich mit dem Ziel das vermeintliche Opfer zu fressen, jetzt aber nur noch weil dieses die Kiefer mit seinen Füßen auseinander schiebt, darauf steht. Das erklärt auch warum Gott-Vater die Angel mit Leichtigkeit und nur einer Hand zu halten vermag, Christus lädt sein Gewicht auf dem Tier ab. Das Auf- bzw. Über - Jemandem - Stehen ist
schon im Tierreich ein Symbol den Sieg über den Gegner und Rivalen und wird in
der christlichen Kunst oft angewandt um den Triumph des Guten über das Böse darzustellen.
Die Ahnen Christi sind portraitähnlich in Kreise eingefügt, die Rahmen und Nimbus zugleich sind. Alle Figuren haben eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, Christus ist der Einzige der keinen Bart trägt und einen Kreuznimbus hat, außerdem trägt er eine Krone. So ist er gar nicht zu verwechseln und für Leviathan, den Antichristen, besonders reizvoll.


I.4 DER LEVIATHAN IM BUCH HIOB



Das Buch Hiob kommt immer wieder auf den Leviathan zu sprechen. Gott hat mit dem Teufel gewettet, er stellt die Treue des gehorsamen Hiob auf die Probe. Nachdem ihm alles genommen wurde wendet sich Hiob gegen den Himmel und fordert Rechenschaft: "der Allmächtige antworte mir!" (31,35). Gott erscheint und fordert im Gegenzug Hiob auf, ihm auf seine Fragen zu antworten, denn er fühlt sich von ihm herausgefordert. "Der Gott anklagt, antworte!" (40,2). Um ihm seine Übermacht zu demonstrieren, zählt Gott einige seiner Taten auf und fragt Hiob ob auch er dazu in der Lage sei. Unter anderem fragt er ob es dem Menschen möglich sei, den Leviathan zu fangen und zu bändigen, und schließt:

"Lege deine Hand an ihn!
An den Kampf wirst Du denken
-und es nicht wieder tun!" (40,32)

Das Buch Hiob wurde immer wieder angeführt um den alttestamentarischen Gott als einen amoralischen, grausamen darzustellen. C.G. Jung ist tief erschüttert durch den "Anblick göttlicher Wildheit und Ruchlosigkeit". Hiob liegt bereits am Boden und verlangt nach moralischer Rechtfertigung, Gott aber antwortet mit eitlen Gegenfragen. Der schon angesprochene Stich von William Blake (Fig. 1) illustriert diese Szene. wir sehen Hiob mit dessen Weib und den drei Freunden in der Asche sitzen. Darüber schwebt Gott auf einer Wolke, gerahmt von zwei Engeln, er schwebt im Nachthimmel zwischen den Gestirnen, der Mond wird zum Nimbus. Seinen linken Arm lässt der liegende Gott lässig von der Wolke hängen, die fünf aschgrauen Personen folgen diesem mit ihrem Blick und beugen ihre Oberkörper. Teils aus Demut und gebrochenem Willen, teils um besser zu sehen was Gott ihnen denn wohl zeigen wolle: Behemoth und Leviathan sind in eine Kugel eingefügt, das Nilpferd nimmt die obere Hälfte ein, während das Krokodil sich in der unteren windet. Behemoth steht für die Kräfte des Landes und Leviathan für die des Wassers. Die Kugel kann entweder den Kosmos meinen,
wobei dann Hiob und Begleiter "weltentrückt" wären, oder aber ähnlich der gläsernen Kugel im Märchen der Veranschaulichung der Erzählungen Gottes dienen. In der Bibel heißt es Gott würde in einem Wettersturm erscheinen, um Hiob die siebzig Gegenfragen zu stellen. In Blakes` Version kommt er eher auf einer sanften Wolke dahergeschwebt, von aufbrausendem Zorn ist nichts zu entdecken. Aber auch Güte und Verständnis sind in seiner Mimik nicht zu finden, wir sehen einen distanzierten Gott, der seiner geschändeten Kreatur gelangweilt deren Nichtigkeit vor Augen führt. Und diese hat das einzusehen, was bleibt ihr auch anderes übrig, angesichts der mächtigen Biester, die für den Menschen eine solche Gefahr darstellen, Gott aber mit der Kraft eines Fingers bändigt? Beinahe sieht es aus als befänden sich die Tiere im Inneren einer großen Murmel, die Gott jeden Moment zum Rollen bringen kann wie ein Spielzeug.

I.5 DAS SPIEL MIT DEM LEVIATHAN



Im Psalm 104,25-26 heißt es:

"Da ist das Meer, so groß und so weit,
drin wimmelt es ohne Zahl,
das kleine Getier und das große,
Seeungeheuer schwimmen darin,
Leviathan, den du dir erschufst zum Spielzeug."

An der Rolle, die hier dem Leviathan zukommt, ist das Bestreben des monotheistischen Schöpfungsmythos`, Gott als den bedingungslos Allmächtigen und vor allem Einzigen darzustellen, abzulesen. Der schon angesprochene Chaoskampf, wird hier endgültig zum Spiel des Schöpfers mit seiner Kreatur, die ganz in den Kosmos eingeordnet ist. Als diese kann der Leviathan ergeben Gottes Befehle ausführen, denn das Seetier, das Jona schluckt um ihn 3 Tage im Magen zu behalten bis dessen Metamorphose sich vollzogen hat, ist natürlich auch der Leviathan. Von einem Wal ist nicht die Rede, erst in der lateinischen Übersetzung wird er zu diesem, dem größten aller Lebewesen, wie auch Luther übersetzt. Der Leviathan also als Kreatur und Spielzeug Gottes und damit Zeuge seiner Allmacht. Oder vielleicht doch nicht nur Spielzeug sondern Spielpartner? Dem Bösen hat Gott in seinem Schöpfungsplan ja schon eine Rolle zugedacht, vielleicht ist das Spielerische ja ein Mittel der Kommunikation der beiden Pole, die ohne einander nicht bestehen können?
Gustav Doré´s Stich in einer Bibelausgabe von 1860 (Fig. 3) stellt einen Kampf zwischen Gott und dem Leviathan dar (oder ist es ein Spiel?).
Die Abbildung ist in zwei Bereiche aufzuteilen, den Gottes und den Leviathans. Der Drache dominiert ca. zwei Drittel des Bildes, im oberen Drittel sehen wir Gott auf einer Wolke angeflogen kommen. Er hält ein Schwert in seiner rechten Hand , mit der linken scheint er seinen Flug zu dirigieren. Sein Gewand ist durch Flug und Wind bewegt. Das Bild ist sehr dunkel gehalten, doch mit dem Herrscher brechen Lichtstrahlen durch die Wolken, die auch den Leviathan streifen. Die Lichtstrahlen wirken fast wie Geschwindigkeitsstreifen, oder aber wie die allegorische Unterstützung der Waffe in Gottes Hand, Lichtstrahlen werden in der Bildgeschichte oft mit Pfeilen gleichgesetzt.
Das Ungeheuer ist sichtlich erschrocken und scheint dem Licht ausweichen zu wollen. Es windet sich auf den Rücken, sein langer Schwanz verliert sich im Dunkel des Hintergrundes. Die Wellen sind bewegt, unruhig, was auf seinen Gemütszustand hindeutet, oft genug wurde er ja als das Meer selbst beschrieben. Er hat das Maul weit aufgerissen, der Betrachter kann sich nicht entscheiden ob diesem ein Schrei oder wütendes Gebrüll entweicht. Oder aber es ist keins von beidem, denn die Zunge hängt ihm aus dem Maul, so auf den Rücken gedreht und hechelnd erinnert er fast an einen Hund der spielen will. vielleicht hat Gustav Doré doch auch den spielerischen Aspekt in sein Bild miteingewebt. Auf jeden Fall aber versetzt er Beide in ihr Element. Leviathan windet sich im Meer, ja ist das Meer, Gottvater regiert den Himmel. Und doch ist der Horizont an dem sich beide Elemente berühren auf dem Bild kaum auszumachen. Wir können also nicht erkennen wo Wolken aufhören und Wellen anfangen, zumal sie sich in ihrer Form ja gar nicht so unähnlich sind. Gustav Doré bedeckt das ganze Format mit diesen beiden Stofflichkeiten und verwebt sie geschickt ineinander. Das wird kompositorische Gründe haben, kann aber auch darauf hindeuten dass sich die Gegner (oder Spielpartner) so unähnlich gar nicht sind. Sie verkörpern divergierende Bereiche, die aber miteinander kommunizieren, zusammenspielen
(oder zusammen spielen?).


I.6 URZEIT UND ENDZEIT


"An jenem Tage wird Jahwe heimsuchen
mit seinem harten, großen und starken Schwert
Leviathan die gewundene Schlange,
und Leviathan, die gekrümmte Schlange,
und den Drachen töten, der im Meer ist"
Jesaja 27,1
Dass hier von drei Ungeheuern die Rede ist darf uns nicht irritieren, denn natürlich ist nur das eine gemeint.
Die Beschreibung deutet auf ein Ereignis in der Endzeit hin, allerdings kann der Ausdruck "an jenem Tag" auch ein vergangenes Ereignis beschreiben, und da wir den Kampf schon aus der Urzeit kennen, liegt der Gedanke nahe, dass Ur- und Endzeit zusammenfallen. Auch das Paradies gibt es am Anfang und am Ende der Zeiten.
Leviathans Name birgt auch das schon in sich, denn das" Gewundene" verweist auf das ewige Leben der sich häutenden Schlange . Diese beschreibt als Uroboros - die sich in den Schwanz beißende Schlange- das Zyklische, das in dem Urzeit-Endzeit- Gedanken enthalten ist.

I.7 DER APOKALYPTISCHE DRACHE



Angesichts der Entsprechung von Urzeit und Endzeitmythos und wenn wir die Bibel nicht als Offenbarung sondern als kulturelles Werk, zusammengesetzt aus verschiedenen Strömungen betrachten, fügen sich Leviathan und Drache, Satan und Antichrist zusammen zu einer polaren Gegenkraft Gottes. Diese allerdings spielt in seinem Schöpfungsplan eine zentrale Rolle und wird als Spannung eingesetzt, die auch, aber niemals nur, böse ist. Dieses verallgemeinerte Drachenbild erklärt warum in der christlichen Tradition Leviathan und der siebenköpfige Drache der Apokalypse aus der Johannes - Offenbarung miteinander verschmelzen. Der Kampf gegen den Drachen wird dort fortgesetzt, wenn auch jetzt durch den Erzengel Michael. Dieser stellt eine Verbindung zwischen Urzeit- und Endzeitmythos der Apokalypse her. Das hebräische Wort Seraphim bedeutet "brennende" oder "leuchtende Schlange". Diese Bezeichnung für die höchsten Engel vor Gott ist älter als das Judentum und kommt aus der Zeit in der die oben beschriebene, sich häutende Schlange noch für das ewige Leben stand. Später erst wurde sie zum Sinnbild des Bösen. So kann man sagen, dass Michael, der ja ein Seraphim ist, von Beginn der mythologischen Überlieferungen an eine zentrale Figur war, die Verbindungen zwischen Anfang und Ende aufzeigt.

Das Bild von Raffaello Santi (Fig. 4) von 1505, zeigt diese Szene. Der Erzengel befindet sich mitten in der Apokalypse, alles ist in Rauch gehüllt. Deutliche Ursache hierfür ist eine brennende Stadt im Hintergrund, die Menschen flüchten. Im Bildvordergrund sehen wir Michael im Kampf gegen den Drachen und andere Wesen aus der Hölle. Raffael zeigt genau den Moment nach dem heftigsten Kampf, der Engel hat offensichtlich schon gesiegt, er steht auf dem Hals des am

Boden liegenden Tieres. Der entscheidende Schlag allerdings steht noch aus, er hebt seinen rechten Arm mit dem Schwert in die Höhe, er scheint mit dem Bein noch Schwung zu holen, das Schwert wird jeden Moment heruntersausen und das Tier tödlich verletzen. Das andere Untier ,das sich vom linken Bildrand auf beide zu bewegt wird zu spät kommen. Die Szene ist genau in die Mitte des Bildes gerückt . Diese Komposition und die Wahl des Moments verleihen dem Bild eine eigentümliche Ruhe angesichts der Thematik, die Raffael wählt. Michael verharrt in seiner anmutigen Pose einen Moment, fast als würde er über das Geschehende nachdenken. Er hat nicht die Brutalität, die ein Drachentöter in unserer Vorstellung haben müsste- ganz im Gegenteil, er wirkt beinahe melancholisch angesichts seines Triumphs. Die rechte Seite des Bildes wird von Grün dominiert, die linke Seite von einem glühenden Rot. Die luftige Verwebung des Komplementärkontrasts bettet die Szene in eine giftige Atmosphäre. So verleiht er der zu fällenden Entscheidung einen bitteren Beigeschmack, vielleicht sieht der Engel in diesem Moment nicht seinen Widersacher und ärgsten Feind, den Drachen Satan, sondern den ehemaligen Gefährten Satanael oder Luzifer, den Lichtbringer, dessen "El" er nach dem Sturz erhielt. So wurde aus Micha dem gewöhnlichen Engel, Michael, der Erzengel. Der Moment des Zögerns könnte der Seraphim auch dafür nutzen, die gemeinsame Vorgeschichte revue passieren zu lassen. Ohne den Fall des "Schönsten" hätte Micha nie aufsteigen können, die unmittelbare Nähe zu Gott wäre ihm verwehrt geblieben. Er hat Satanaels Platz eingenommen und sich mit dessen Schicksal identifizieren oder zumindest konfrontieren müssen. Er sieht also am Boden nicht nur einen gefallenen und unterworfenen Bruder sondern auch das mögliche "Ich". In ihm tobt also der innere Konflikt zwischen Ehrgeiz, Mitgefühl und Identifikation, die wahre Apokalypse findet nicht außen sondern innen statt.
Raffael schafft also einen Engel und Drachentöter in zögernder Verhaltenheit. Der Meister der Hochrenaissance wird von den Ereignissen um ihn herum nicht unbeeinflusst gewesen sein und sich intensiv mit dem Humanismus der Renaissance auseinandergesetzt haben. Wenn man so will, sieht man hier einen "humanistischen Engel". Humanisiert sind die Engelsdarstellungen dieser Zeit, die diese als Mittler zwischen Gott und Mensch akzeptieren, humanistisch ist dieser Engel weil er reflektiert. In der Renaissance lernte der Mensch sich als Subjekt zu betrachten, ihm kommt ein ganz neue Bedeutung zu. Raffaels Engel ist nicht mehr nur noch Instrument eines Gottes, er ist reflektierendes Subjekt geworden. Ohne Zweifel ist er noch immer gehorsam, er wird den Drachen töten, aber er tut es mit eigener Meinung und eigenem Gefühl.

I.8 DAS ZELT DER GERECHTEN



In der jüdischen, nebenbiblischen Tradition nimmt der Leviathan eine andere Endzeitrolle ein. Hier stoßen wir auf das "Gastmahl des Leviathan" und auf das Zelt der Gerechten. Dieses wird am Ende der Zeit aus der Haut des Leviathan gebaut. Das geht nur, weil das Ungeheuer einerseits groß genug ist und andererseits die Zahl der Gerechten (aller Zeiten) mit 144 000 vergleichsweise klein (Offenbarung 14,1). Nach der hebräischen Mythologie wurde die Haut des Leviathan schon früher verteilt -Gott machte daraus leuchtende Gewänder, um Adam und Eva zu kleiden.
Am Ende wird Gott aus dem Leviathan ein köstliches Mahl zubereiten und den Gerechten zu essen geben.

Heinrich Heine hebt in seinem Gedicht eher den lukullischen Aspekt hervor:

"Des Leviathans Länge ist
Hundert Meilen, hat Floßfedern
Groß wie König Ok von Basan,
Und sein Schwanz ist wie ein Zedern

Doch sein Fleisch ist delikat,
Delikater als Schildkröten,
Und am Tag der Auferstehung
Wird der Herr zu Tische beten.

Alle frommen Auserwählten,
Die Gerechten und die Weisen-
Unsres Hergotts Lieblingsfisch
Werden sie alsdann verspeisen,

Teils mit weißer Knoblauchbrühe,
Teils auch braun in Wein gesotten,
Mit Gewürzen und Rosinen,
Ungefähr wie Matelotten.

In der weißen Knoblauchbrühe
Schwimmen kleine Schäbchen Rettich-
So bereitet, Frater José,
Mundet sich das Fischlein, wett` ich!


Auch die braune ist so lecker,
Nämlich die Rosinensauce,
Sie wird himmlisch wohl behagen
Deinem Bäuchlein, Frater José.

Was Gott kocht, ist gut gekocht!
Mönchlein nimm jetzt meinen Rat an,
Opfre hin die alte Vorhaut
Und erquick` dich am Leviathan."

Das Schwerwiegende der Situation reduziert Heine auf ein Kochrezept, es verwundert, welche große Rolle so Weltliches wie Kochkunst und Rosinensauce am Ende der Zeit und angesichts der dramatischen Ereignisse dieser Stunde noch zu spielen vermögen.

Der Leviathan landet also am Ende der Zeit in den Mägen der Gerechten, beinahe ausgleichende Gerechtigkeit, denn das gab es auch schon umgekehrt:


I.9 DER HÖLLENDRACHE



Bei Hiob wird der Rachen des "Krokodils" beschrieben:

"Wer öffnet gar das große Tor des Rachens,
bewacht von diesen fürchterlichen Zähnen?" (Hiob41,6)

"Aus seinem Maule schießen Fackeln,
feurige Funken sprühn hervor.
Aus seinen Nüstern qualmt der Dampf
wie aus geheiztem Kessel auf.
Sein Hauch entflammet Kohlenglut,
und Flammen fahr´n aus seinem Rachen."
(Hiob 41,11-13)

Dieser ungeheuerliche, flammenerfüllter Tierrachen steht für die Hölle und ihre ewigen Qualen, er bildet das Tor zu dem Ort des Leidens und der Buße.
Im vierten Kapitel der "Therobiblia" des Herrman Heinrich Frey aus dem Jahr 1595 heißt es über den Teufelsdrachen:
"...Er hat einen starken halß/und ist seine Lust wo etwas verderbet..."
Hier ist er Sinnbild des Satans der mit seinem unersättlichen Schlund, alle jene zu verschlingen versucht, die wie "faules Obst" vom Glauben abfallen. Der Leviathan ,der die Hölle an sich verkörpert, wird am Tag des jüngsten Gerichts besiegt und die unschuldigen Seelen befreit werden.

Das Holzrelief aus einem Passionszyklus des 13. Jahrhunderts (Fig. 5) zeigt Christus vor dem Höllentor, einem riesigen Drachenschlund, in dem mehrere Figuren zu sehen sind.
Christus hat mit seinem Tod die Menschheit erlöst. Um die Erlösung auch in der Unterwelt ausharrenden Menschen des alten Bundes zu verkünden, steigt er in die Unterwelt hinab, und wird von Adam und Eva und anderen Gestalten des alten Testaments als Retter begrüßt. Christus trägt in seiner linken Hand eine Fahne, mit der rechten nimmt er Adam bei der Hand, um ihn aus der Tiefe heraus zu geleiten. Mit dem einen Bein drückt er den Teufel zu Boden, läuft über ihn drüber, ja benutzt ihn als Schemel, um zur Öffnung zu gelangen. Auf ähnlichen Abbildungen mit derselben Thematik steht Jesus auf zwei, auf dem Boden liegenden Türblättern, es sind die Türen der Höllenpforte, die er aus den Angeln gehoben hat. In dem geöffneten Leviathansschlund sehen wir außer Adam noch einige andere Figuren, oder vielmehr ihre Köpfe. Eine Frau , unterhalb von Adam streckt dem Messias hilfesuchend einen Arm entgegen, wahrscheinlich Eva, die fleht er möge sie doch bitte aus dem Abgrund heraushieven. Unmöglich hätten sich die Gefangenen selber befreien können, der Rachen ist mit scharfen Zähnen gespickt, höchstwahrscheinlich war er bis eben noch geschlossen und vom Teufel bewacht. Der Rachen ist zwar ebenso groß wie Jesus, aber dieser hat ihn scheinbar ohne Kraftaufwand öffnen können, und auch der Teufel sieht nicht aus, als hätte er große Chancen sich zur Wehr zu setzten, Christus friedliche Allmacht dominiert die Szene.

Der biblische Leviathan nimmt die unterschiedlichsten Gestalten an und ist zu jedem Zeitpunkt aktuell, denn er muss jeden Tag aufs Neue besiegt werden. Wir können ihn in keine Definition zwängen, das würde ihm nicht gerecht werden. Er ist ein Hybridwesen und stellt in allen seinen Formen die polare Gegenposition zu Gott dar. Da es aber im monotheistischen Glauben keine autonome, böse Position neben Gott geben kann , ist er dessen Geschöpf, also gezielt in den
Schöpfungsplan eingesetzt. Deswegen ist Leviathan auch als böse Seite Gottes verstanden worden , wenn er diesen überwindet, überwindet er die dunkle Naturseite in sich selbst. Der alttestamentarische Gott ist oft grausam und hart, es scheint als hätte er diese dunkle Seite erst im neuen Testament, mit seiner Menschwerdung verloren. Thomas Mann spricht vom "Heiligwerden Gottes und des Menschen als Doppelprozess". Interessant ist, dass Gott hier erst heilig werden muss, es also keinesfalls schon ist. Im Gegenteil, er erhält seine Würde erst mit Hilfe des Menschenverstandes, welcher aber nicht würdig ist ohne die Anschauung der Wirklichkeit Gottes und der Bezugnahme auf sie. Gott und der
Mensch bilden eine Symbiose. Hier ist die dunkle Seite Gottes eindeutig angesprochen und es gilt sie zu überwinden. Der Mensch wird in Gottes Kampf gegen den Leviathan genauso zur Waffe wie Gott es im Kampf des Menschen angesichts seiner bösen Seite ist.

II.1 LUTHER ALS DRACHENTÖTER



Durch die Gleichsetzung des Leviathans mit dem Teufel, bzw. des Antichristen, also der gegen Christus gerichteten Macht in der christlichen Apokalyptik, taucht
immer wieder der Versuch auf, die gegnerische Macht mit diesem zu identifizieren, sie als Inkarnation des Bösen darzustellen. Aus der Reformationszeit gibt es Flugblätter mit immer wieder derselben Thematik:
Der Teufel im weltlichen Gewand.
Eines dieser Flugblätter, ein Holzschnitt von 1521 (Fig. 6),zeigt Martin Luther wie einen biblischen Heros über seinen Gegner Thomas Murner als einen "ungeheuren Leviathan" triumphieren, und das in einer Pose wie sie üblicherweise das apokalyptische Weib einnahm, das in der Apokalypse über den Drachen siegt. Der Leviathan trägt ein Mönchsgewand, er war offensichtlich verkleidet. Der Gegner Luthers ist also kein Mensch auf Abwegen, denn welche unbedeutende Rolle würde dieser in dem Kosmos Gottes spielen, nein, es ist der Teufel höchstpersönlich. Dieser hat sich als Mensch, ja sogar als Mönch verkleidet um die Kreatur Gottes zu täuschen und vom Weg abzubringen. Ähnlich wie die Schlange, die sich in Eva´s Gestalt hüllt oder ihr einen Spiegel vorhält, um sie zu verführen. Dass er dabei die Mönchskutte wählt, macht die Täuschung gefährlich und den Frevel perfekt. In beiden Händen hält der Drache ein Stück Stoff, wahrscheinlich die Maske, die ihm im Fall vom Gesicht gefallen ist, so dass sein wahres Gesicht zum Vorschein kommt. Verräterisch ringelt unter der Kutte ein Echsenschwanz hervor, auch eine Klaue kommt zum Vorschein. Daran sieht man dass der vermeintlich Zweibeinige in Wirklichkeit ein Vierbeiner, ein Tier ist und durch den Sturz wieder in die richtige Position gebracht wurde. Luther hat die Verhältnisse aufgeklärt und "zurechtgerückt". Sichtlich wütend darüber brüllt der Leviathan auf und Flammen entweichen seinem Maul. Luther hingegen wirkt sehr statisch, er steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, seinen Blick geradeaus. In beiden Händen hält er ein großes Buch, die Bibel. Er hält sich an das Wort, vertritt die reine Lehre und ist deswegen auch nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Luthers Figur auf diesem Flugblatt hat eine merkwürdige Position, denn einerseits steht er auf irdischen Boden, der sogar mit Gras bewachsen ist, aber mit diesem Stück Erde schwebt er über der am Boden kriechenden Gestalt. Wahrscheinlich wurde das Lutherbild vorher schon anders verwendet und nur für diesen Zweck mit der Platte des Leviathan kombiniert, aber die Wirkung die diese zufällige Kombination erzielt, scheint die Aussage des Blattes nur noch zu verstärken. Denn Luther schwebt wie das apokalyptische Weib, und steht doch auf sicherem Boden. Er wagt sich mit seinen Thesen in die Schwebe, aber weil er sich an das Wort hält, läuft er nicht Gefahr zu stürzen. Und da Luther ja auf weltlichem Boden steht, versetzt der Künstler Thomas Murner automatisch in die Unterwelt- wo er seiner Meinung nach ja auch hingehört. Hier stoßen wir wieder auf das schon angesprochene "Über- Jemandem- Stehen".
Der Mythos des Leviathan ist also immer wieder fruchtbarer Boden für aktuelle Anlässe und Rechtfertigung für den Kampf mit übergeordnetem Zweck, der diesen heiligt.

II.2 LEVIATHAN = STAAT


Wesentlich wurde der Begriff des Leviathan auch durch Thomas Hobbes geprägt, der mit seiner 1651 erschienenen Staatsphilosophie "Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates" erstaunlich modern war, und auf welchen sich auch heute politische Bewegungen immer noch beziehen. Von Hobbes stammt der berühmte Satz "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf", welcher seine Überzeugung beschreibt, der Mensch sei von Natur aus schlecht und unsozial. Damit er trotzdem in Frieden auf Erden leben kann, was seiner Natur eigentlich nicht entspricht, muss er seinen eigenen Vorteil dem der Masse, der res publica oder civitas, dem Staat oder Gemeinwesen unterordnen. Alle Macht erhält ein "Oberwolf", der sich aber auch innerhalb von Regeln bewegen muss, der Monarch. Der Mensch schließt also einen Pakt mit dem Staat, der alle Gewalt in den Händen hat und für Frieden sorgt.

Sehr schön illustriert ist dieser Gedanke auf dem Titelblatt der englischen Erstausgabe (Fig.7). Das Motiv ist von Wenceslaus Hollar, sehr wahrscheinlich ist aber, dass Thomas selber an der Entstehung wesentlich beteiligt war.
Das Bild ist in zwei Hälften unterteilt. Die obere zeigt eine Stadt, die von Hügeln umgeben ist, hinter denen sich eine riesenhafte Gestalt erhebt. Der Leib dieser Figur setzt sich aus vielen kleinen Körpern zusammen, obenauf thront ein mächtiger Kopf mit Krone. Wir sehen hier den Souverän, den aus der Masse von Menschen zu einem zusammengefügten Leviathan. In seiner rechten Hand hält er ein Schwert, in der linken einen Bischofsstab. Die Symbole von Kirche und Staat finden in der unteren Bildhälfte ihre Entsprechung. Hier sehen wir jeweils fünf Symbole der weltlichen und der kirchlichen Macht des Souveräns einander gegenübergestellt. Unter dem rechten finden wir Burg, Krone, Kanone, Gewehre, Lanzen und Fahnen, Schlachten, unter dem linken Arm Kirchengebäude, Bischofsmütze, Bannstrahlen, Distinktionen, ein Konzil. Dieses Gemeinwesen nennt Thomas Hobbes "Leviathan". Dabei beruft er sich einzig auf eine Stelle in der Bibel, die Luther folgendermaßen übersetzt: " Keine Macht auf Erden kann mit ihm verglichen werden" (Hiob 41,24).
Hobbes bezieht sich also nicht auf den Kampf mit dem Drachen, Leviathan wird hier nicht als das Böse oder das Chaos sondern eher als Macht oder Gewalt aufgefasst. Denn der Staat erfährt auch bei Hobbes sein letzte Legitimation durch Gott. Die gewaltige Figur ist weder gut noch böse, sie ist eher eine notwendige Einrichtung, die es der grausamen menschlichen Natur ermöglicht friedlich zu leben, der Einzelmensch hebt sich im Gesamtmenschen auf.
Der Leviathan vereint zwar weltliche wie kirchliche Elemente in sich, aber Gott selber spielt in Hobbes Plan eine eher untergeordnete Rolle, der Staat selber wird zum Gott, wenn auch nur zum sterblichen. Zwar muss das System in letzter Instanz noch legitimiert werden, eine feste Rolle als Instrument kommt dem Gott allerdings nicht zu. Hier spielt der in der Renaissance aufkommende Gedanke des Deismus mit hinein, die Welt also als Maschine, von Gott geschaffen und zu Anfang auch einmal angestoßen, dann aber sich selbst überlassen. Verständlich, dass sich der Mensch sein eignes System kreiert, um sich zu organisieren.
Zu seiner Zeit wurde Thomas Hobbes der Häresie verdächtigt, denn seine Schrift hat atheistische Züge, vielleicht hat er Gott nur deshalb eine Rolle in seiner Philosophie zugedacht, alles andere hätte ihm gefährlich werden können. Nun stellt sich die Frage ob der Name der Schrift sich wirklich nur auf diesen einen Satz im Buch Hiob bezieht, Hobbes also die Rolle des Leviathan als Gegenspieler Gottes ignoriert, oder ob er sein Werk nicht eben deswegen nach dem Untier benennt. Denn der Staat, der sterbliche Gott kann erst gut sein weil er nicht anstrebt es zu sein. Er muss die Schöpfung in eine Ordnung bringen, die es nicht erlaubt das Heil jedes Einzelnen zu berücksichtigen, anders als Gott es in Aussicht gestellt hat. Das Seelenheil kann er also nicht garantieren, dafür aber eine gute Vorraussetzung für ein friedliches Leben. Vielleicht nennt Hobbes seine Schrift auch deshalb "Leviathan", weil er sich mit der Schöpfung Gottes alleine gelassen fühlt, diesen also nicht für "kompetent" hält und deshalb seinen Gegenspieler aktiviert. Dieser stellt kein Paradies in Aussicht, der Mensch erkennt den Leviathan in sich und bekämpft ihn, indem er sich dem Gemeinwesen unterordnet. Der Drache wird also auf Erden bezwungen und nicht erst wieder in der Endzeit. Das Titelbild zeigt eben diesen, einen sichtbaren Gott, der selbst auf Erden anwesend ist und sich schützend am Horizont erhebt. Hobbes hat seine Erkenntnis, dass der Mensch von Natur aus böse sei, in der Beobachtung seines vom Bürgerkrieg aufgewühlten und entzweiten Umfeldes erworben. Mit einer
Schöpfung, die von Gnade und Güte nichts durchscheinen lässt, alleine gelassen, macht er sich auf die Suche nach einem realistischeren und vor allem greifbareren Prinzip.

II.3 MOBY DICK



1851, also genau 200 Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe von Thomas Hobbes´ Leviathan, erscheint Hermann Melvilles Roman "Moby Dick oder der Wal". Schon früher ist Leviathan mit Wal übersetzt worden, da es sich dabei um das größte bekannte Tier handelt - so saß ja auch Jona 3 Tage in dessen Bauch. In dem Roman jagt Kapitän Ahab, der durch den weißen Wal einst ein Bein verlor, diesen wie besessen. Es geht ihm um Rache, aber nicht nur, die Jagd wird zum Prinzip , zur Tragödie, zum Märtyrertum. Denn der weiße Wal, der auch Leviathan genannt wird, ist der Inbegriff des Bösen und Ahab macht ihn für "den ganzen Groll und Haß des Menschengeschlechts von Adam her" verantwortlich. Wir haben es also eindeutig nicht mit irgendeinem Wal zu tun, das erkennt auch der Steuermann Starbuck: " Sollen wir denn dieses mörderische Ungeheuer jagen, bis es den letzten Mann ersäuft, sollen wir uns mitreißen lassen von ihm auf den Meeresgrund hinab? - O Gott, das ist Frevel, Gotteslästerung ist das!" Hiob wurde von Gott belehrt, kein Mensch könne den Leviathan besiegen, Ahab versucht es. Der Kampf ist aussichtslos, aber obwohl er weiß dass er verlieren wird , muss er ihn führen. Er verhält sich wie Camus Sysiphos, obwohl dieser weiß, dass er den Stein nicht auf den Berg rollen kann, sein Ziel niemals erreichen wird, muss er es versuchen. Ahab verliert.

Gudrun Enßlin gibt den Mitgliedern der RAF Decknamen aus "Moby Dick". Kapitän Ahab steht für Andreas Baader, Starbuck für Holger Meins, Zimmermann für Jan-Carl Raspe et cetera. So stellte sie ihre Gruppe als Jäger des Bösen dar, und da seit Hobbes Leviathan und Staat gleichgesetzt sind, veranschaulichen die Pseudonyme den Kampf der RAF gegen das System. Auch Gudrun Enßlin wusste zu diesem Zeitpunkt (die wichtigsten Figuren der terroristischen Vereinigung, einschließlich ihr selbst saßen im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim, in dem sie sich später umbringen sollten), dass ihr Kampf nicht siegreich für sie ausgehen würde.

Den Leviathan findet man in nahezu allen Kulturen, wenn auch unter anderen Namen oder mit kleinen Abweichungen. Dahinter steht der Gedanke des Entstehens einer Ordnung aus der Unordnung, dem Chaos heraus. Im Chaoskampf wird der Drache besiegt, das kann aber keine einmalige Aktion bleiben, er taucht im Weltgeschehen immer wieder auf und spielt auch in der Endzeit seine Rolle. Die Ordnung ohne Unordnung gibt es nicht, genauso
wenig wie Gutes ohne Böses. Der Leviathan tritt also immer als die Ergänzung zum idealisierten Plan einer höheren Instanz auf, er ist der Gegenpol. Als dieser kann er die unterschiedlichsten Formen annehmen, ihn auf eine zu reduzieren würde ihm nicht gerecht werden. Er ist Hybridwesen und Personifikation der dunkle Seite, im Schöpfungsplan, in der Natur des Menschen aber auch des Gottes selbst. Er ist Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung und Widersacher, der eine der beiden Pole, die das Prinzip im Gleichgewicht halten.

Das Bild "der Tod auf fahlem Pferd" von William Turner (Fig. 8) kann nicht auf ein bestimmtes Thema festgelegt werden, deswegen ist es an dieser Stelle so treffend.
Inmitten konturloser Farbwolken breitet ein Wesen die Arme aus. Obwohl wir auf dem Bild nichts finden anhand dessen wir seine Größe ablesen könnten, neben ihm ist nichts Figürliches auf der Leinwand zu erkennen, scheint es riesig zu sein, die Farbkissen wirken wie Gewitterwolken und die Figur wie die Mitte eines gewaltigen Orkans. Den Rücken können wir als den eines Skeletts erkennen und auch die Klauen erinnern an knochige Finger, der Rest verschwimmt zu Unbestimmtem, Bösem. Der Titel des Bildes kann einem in der Fläche oberhalb des ausgestreckten Armes die Konturen eines Pferdes erkennen lassen, das im Nebel verschwindet, ebenso gut kann man sie als Flügel deuten. Unter dem anderen Arm ballt sich der schwarze Rauch zu einem Zentrum mit Sogwirkung, beinahe erinnert es an den Tunnel der in dem berühmten Bild "das Paradies" von Hieronymus Bosch, der den Eingang zum Licht, zu Gott darstellt. Der Tunnel ist allerdings von gleißendem Licht erfüllt, die Ballung unter dem Arm der Figur ist pechschwarz und somit das Negativ, der Eingang zur Hölle. Die skelettartige Darstellung und der Titel weisen darauf hin, dass wir es mit dem Tod an sich zu tun haben, aber das Bild zeigt viel mehr als das. Der rötliche Qualm erinnert an die Hölle selbst, die Wolken werden zum Rauch des Fegefeuers, Der Teufel breitet seine Fangarme aus. Das Bild von William Turner lässt dem Betrachter so viel Freiheit, dass er sein Bild des Bösen darin verkörpert sieht. Die verschwommene Malerei nimmt im Kopf des Betrachters die unterschiedlichsten
Formen an, die alle wahr sind, denn wir sehen hier die Zusammenfassung all dessen, die dunkle Seite, den Leviathan.

BIBLIOGRAPHIE





Aust, Stefan "Der Baader Meinhof Komplex"

Hobbes, Thomas "Leviathan oder Stoff , Form und Gewalt eines bürgerlichen Staates", 1966

Mann, Thomas "Joseph und seine Brüder", 2003

Melville, Hermann "Moby Dick", 1944

Rosenberg, Alfons "Michael und der Drache", 1956

Schöpf, Hans "Fabeltiere", 1988

Steffen, Uwe "Drachenkampf", 1984

Warnke, Martin "Cranachs Luther", 1994