Der Drache in Mesoamerika
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Die Entstehung der Zivilisation in Mesoamerika | |
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1500 v. Chr. | Erste sesshafte Bauernsiedlungen, Töpferware |
1500 v. Chr. - 900 v. Chr. | Frühes Auftauchen gesellschaftlicher Schichtung und Häuptlingstümer |
1200 v. Chr - 500 v. Chr. | Weitverbreiteter Olmeken-Symbolismus |
600 v. Chr. | Früheste mesoamerikanische Schrift einschließlich Kalenderglyphen |
500 v. Chr. - 100 v. Chr. | Staatenbildung im zentralen Hochland und im Tal von Oaxaca; erste Stadt bei Monte Albán |
100 v. Chr. - 200 | Sonnen- und Mondpyramiden; Straße der Toten; geplanter Grundriss Teotihuacans |
200 - 750 | klassische Einflussperiode Teotihuacans |
750 | Niedergang Teotihuacans |
750 - 1200 | Niedergang der Maya-Zentren der klassischen Periode |
1000 - 1200 | Tolteken-Reich |
1400 - 1521 | Azteken-Reich |
Wenn vom mesoamerikanischen Drachen die Rede ist, dann fällt einem sofort der aztekische Gott und Kulturheroe Quetzacóatl, die gefiederte Schlange ein. Das Motiv dieser gefiederten Schlange ist aber viel älter. Sie taucht bereits im Schöpfungsmythos des Popol Vuh als androgyne Schöpfergottheit auf. "Da war das ruhende All, Kein Hauch, Kein Laut. Reglos und schweigend die Welt. Und des Himmels Raum war leer.
Dies ist die erste Kunde, das erste Wort. Noch war kein Mensch da, kein Tier. Vögel, Fische, Schalentiere, Bäume, Steine, Höhlen Schluchten gab es nicht. Kein Gras. Kein Wald. Nur der Himmel war da.
Die Schöpfung der Welt und ihrer Bewohner, inspiriert durch das Popol Vuh, das heilige Buch der Maya Gemälde von Diego Riviera, 1886-1957)
Noch war der Erde Antlitz nicht enthüllt. Nur das sanfte Meer war da und des Himmels weiter Raum.
Noch war nichts verbunden, Nichts gab Laut, nichts bewegte, nichts erschütterte, nichts brach des Himmels Schweigen. Noch gab es nichts Aufrechtes. Nur die ruhenden Wasser, das sanfte Meer, einsam und still. Nichts anderes.
Unbeweglich und stumm war die Nacht, die Finsternis. Aber im Wasser, umflossen von Licht, waren diese: Tzakól, der Schöpfer; Bittól, der Former; der Sieger Tepeu und die Grünfederschlange Gucumátz; Alóm auch und Caholóm, die Erzeuger. Unter grünen und blauen Federn waren sie verborgen, darum sagt man Grünfederschlange. Große Weisheit und große Kunde ist ihr Wesen. . . . . In Dunkelheit und Nacht kamen Tepeu und Gucumátz zusammen und sprachen miteinander. Also sprechend berieten sie und überlegten: sie kamen überein und ihre Worte und Gedanken glichen sie aus. Und sie erkannten, während sie überlegten, dass mit dem Licht der Mensch erscheinen müsse. So beschlossen sie die Schöpfung und den Wuchs der Bäume und Schlingpflanzen, den Beginn des Lebens und die Erschaffung des Menschen."
Auch wenn hier bereits eine ganze Reihe von Namen fallen, letztendlich reduziert sich diese Vielfalt auf die eine duale Schöpfergottheit Tepeu/ Gucumátz, die Grünfederschlange. Diese androgyne Schöpfergottheit taucht immer wieder in den mesoamerikanischen Mythologien auf, so z.B. im Vopol Vuh als Großmutter oder die Alten.
Peter Davod Joralemon widmete dem olmekischen Drachen 1976 eine ausführliche Studie. Anhand von Steinornamenten und Keramikgefäßen verfolgte er das Motiv der gefiederten Schlange bis in die Anfänge der olmekischen Kultur zurück und bezeichnete den olmekischen Drachen als Gott I von insgesamt zehn von ihm klassifizierten Gottheiten. Gott I definierte er als mythologisches Ungeheuer mit den Kennzeichen des Kaiman, Igel, Jaguar, Menschen und der Schlange. Als Gottheit (also als Mutter-göttin oder androgyne Gottheit) sei er vor allem mit der Erde, dem Wasser und der landwirtschaftlichen Fruchtbarkeit zu asso-ziieren.
Schlangen sind in der Bilderwelt Mesoamerikas allgegenwärtig. Sie wurden sowohl mit weiblichen als auch mit männ-lichen Qualitäten assoziiert. Das Wort Cóatl bedeutet Schlange und findet sich in zahlreichen Namen, nicht nur bei Quetza-cóatl wieder. Coatlícue, die Schlangen-dame z.B. war die oberste Erdgöttin der Azteken und Gattin der Wolkenschlange Mixcóatl. Dieser Mixcóatl übrigens taucht als höchster Gott der Chichimeken wieder auf und ist dort der Sohn der Erdgöttin Itzpapáloti.
Coatlicue, die Schlangendame, ist die höchste aztekische Erdgöttin und als solche ein Erdungeheuer.
Es besteht kein Zweifel, die ursprüngliche Schöpferkraft waren auch bei den mesoamerikanischen Kulturen die alten Muttergottheiten, selbst wenn wie bei den Maya und den Azteken das Patriarchat herrsche und der jeweils höchste Gott ein männlicher war. Aber die ursprüngliche Matriarchale Orientierung und das in Zusammenhang mit der Entwicklung der städtischen Zivilisationen und der Entwicklung der Herrscherklassen entstandene Patriarchat ist auch hier aus den Mythologien erkennbar. So erfahren in den Anfängen des Popol Vuh die beiden Alten (und damit vor allem die Große Mutter) eine eindeutige Verehrung, bis schließlich in einer Geschichte die "Großmutter" von zwei Jünglingen respektlos ausgetrickst wurde. Die Geschichte endet mit dem kulturgeschichtlich durchaus revolutionären Satz: "sie (die Jünglinge) gingen voran, als erste vor der Ahnin (die alte Göttin mit dem Regenkrug)".
Im Folgenden soll hier einmal eine Auswahl aus der mesoamerikani-schen Götterwelt vorgestellt werden.
Frühzeit
Omecíhuatl war das weibliche Gegenstück zu Ometecuhitli und damit der weibliche Aspekt der androgynen Gottheit Ometotl. Eine wohl sehr ursprüngliche mesoamerikanische Schöpfergottheit der Frühzeit.
Cihuacoatl, die Schlangenfrau zeigt sich hier als Erdmutter mit Schlangengürtel. Aztekische Steinskulptur aus der späten nachklassischen Periode
Olmeken
Gott III: Die olmekische Himmelsgottheit wird als Vogelungeheuer mit reptilienähnlichen Zügen, Raubtierschnabel mit dickem Wulst, Pfotenähnlichen Flügeln, die in Klauen auslaufen, einem Kamm auf dem Schädel, tiefen Augenhöhlen und flammenden Augenbrauen dargestellt.
Gott VII: Olmekische Gottheit, vielleicht Vorläufer der gefiederten Schlange.
Gott VIII: Olmekisches Fischungeheuer, das mit Ozean und stehendem Gewässer assoziiert wurde. Er hat einen Fischkörper mit zweigeteiltem Schwanz, Krokodilzähne und einige Attribute des Hais.
Maya
Ix Chebel Yax oder Chebel Yax ist identisch mit der Göttin O der Maya- Kodizes. Sie war eine Schöpfergöttin, die als Itzamnas Gattin höchstes Ansehen genoss. Sie galt als Mutter aller Götter und Göttinnen.
Ix Chel, die Maya-Göttin I der Kodizes ist die Gemahlin des Sonnengottes Kinich Ahau. Sie war die Mondgöttin und verfügte als solche über vielerlei Aspekte. Ursprüngliche Darstellungen zeigen sie als Göttin mit Klauen, auf deren Haupt sich eine Schlange windet und deren Rock mit gekreuzten Knochen geschmückt ist.
Theotihucán-Spinnenfrau oder Große Göttin der klassischen Periode war eine der ranghöchsten Gottheiten der Stadt Theotihucán.
Tepoztécatl war der Patron der Stadt Tepoztlán, die der von einer harten Tributpflicht erlöste, weil er den Drachen von Xochicalco tötete. In Xochicalco findet sich eine Pyramide, die speziell der gefiederten Schlange gewidmet ist. Rund um die Basis winden sich Darstellungen der "Federschlange" der die Stadt Tepoztlán Tribut zollen musste. Die Legende beschreibt das Ende der Herrschaft der "Schlangenstadt" über Tepotzlán.
Auch in Xochicalco findet sich eine Pyramide, die speziell der Gefiederten Schlange gewidmet ist. Rund um die Basis winden sich Darstellungen der Federschlange, der die Stadt Tepoztlán Tribut zollen mußte
Azteken
Coatlícue die Schlangendame, oberste Erdgöttin der Azteken, mit Schlangenzunge, Fangzähnen und einem Rock aus einer dichten Masse von Schlangen dargestellt.
Xiuhcoatl, die Türkisschlange war ein Feuerring, das Gegenstück zu Xiuhtecuhtli, dem wohlwollenden Schlangengott, der eine der Manifestationen von Quetzalcoatl ist. In der aztekischen Mythologie trägt eine Türkisschlange die Sonne vom Aufgangspunkt bis zur Himmelsmitte, wo sie von einer anderen übernommen und nach Westen gebracht wird.
Die Spinnenfrau von Teotihuacan war die grosse Göttin dieser Stadt. Sie galt als Schöpfergöttin und schmückte dort Wände und Tempelfassaden.
Aus dem Wissen um die aztekische und die Mayakul-tur, in der jeder Gott sein Gegenstück findet, schlussfol-gern die Wissenschaftler, dass die Dualität ein Grundkonzept des mesoamerikanischen Kul-turraumes ist. Und tatsächlich finden sich in den Überlie-ferungen zahllose Gegensatz-paare, die diese Schlussfol-gerung belegen.
Itzamna oder Leguanhaus ist der Schöpfergeist der Maya. Hier ist er mit markanter Nase dargestellt. Er hält die sich windende doppelköpfige Himmels- oder Visionsschlange in der Hand (Steinrelief aus der frühen klassischen Periode
Tatsache ist aber auch, dass die einzelnen Götter (und selbstverständlich auch Göttinnen und androgyne Gottheiten) zahllose Manifestationen haben. Und das nicht nur durch den intensiven Austausch und die gegenseitige Beeinflussung, die in Mesoamerika durch die Herrschenden raum- und zeit-übergreifend war. Bereits die Schöpfungsgeschichte des Popol Vuh gibt dem ersten Schöpferpaar, das als Einheit angesehen war, eine ganze Reihe von Namen Manifesta-tionen und Eigenschaften. Ganz der animistischen Tradition ent-sprechend wird nicht getrennt, sondern in einer Muttergottheit die universale Vielfalt in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Wir-kungsweisen gesehen.
Diese Sichtweise geht schließ-lich mit fortschreitender Zivilisation und hierarchischer Organisation der Gesellschaft mit seiner Arbeitsteilung und seinen tatsächlichen Gegensätzen in einen Dualismus über. Die alte sich im ständigen Kulturaustausch (und natürlich im Rahmen der Unterwerfung anderer Völker) erweiternde Götterwelt wird angepasst, die ursprüngliche Multifunktion der Gottheiten wird zerlegt und in kleinen Stücken auf immer mehr einzelne Götter verteilt.
Und auch in Mesoamerika geschieht mit der Großen Mutter das gleiche, wie in den anderen Zivilisationen der Erde. Ihre abstrakte animistische und totemistische Natur wird aufgegriffen und zu einem komplexen und konkreten Gesamtwesen entwickelt, das von uns heute in seiner Darstellung als Ungeheuer als Drache interpretiert wird. Aber so schrecklich diese Wesen auf uns auch wirken mögen, die Übernahme des Drachenbildes durch die männlichen Götter der Maya und Azteken beispielsweise (die zumindest androgynen, wenn nicht weiblichen Gottheiten und vor allem ihre Schöpferfähigkeiten wurden ja schließlich weitgehend in die männlichen Haupt- und Schöpfergötter transformiert) spricht eher dafür, dass der Inhalt und die Eigenschaften dieser (Schlangen-/Drachen-) Gottheiten eher normal, denn furchterregend und abstoßend gewesen sein dürfte.
Drachenkämpfe, das wissen wir, haben auch stattgefunden wie die Geschichte von Tepoztécatl zeigt.
Ich könnte mir aber vorstellen, dass es auch ursprünglichere Drachenkämpfe in der schriftlosen Frühgeschichte Mesoamerikas gegeben hat, die einfach deshalb nicht mehr überliefert sind, weil ihre Kenntnis bei den späteren Kulturen vorausgesetzt werden konnte. Die eine oder andere blutige Auseinandersetzung zwischen Muttergott-heiten und ihren männlichen Sprösslingen wird im Popol Vuh durchaus angedeutet und findet sich auch in anderen mesoamerikanischen Mythologien wieder.
Wie man an diesem nur oberflächlichen Abriss erkennen kann, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem mesoamerikanischen Drachen durchaus. Nicht nur, dass diese Kulturen durch ihre Bildhaftigkeit und Dynamik eine große Faszination auf den Betrachter ausüben. Hier scheint auch der Drache ebenso wie in China ein ganz zentrales Phänomen darzustellen. Und es ist immer wieder interessant, welche Parallelen es sowohl hinsichtlich der kulturellen Entwicklung als auch der damit verbundenen Weltvorstellungen über alle Kulturkreise hinweg zu geben scheint.
Nichts liegt mir ferner, als eine Gleichsetzung von Göttern verschiedener Kulturen vorzunehmen -wie es so gerne bei den vorderasiatischen, griechischen, etruskischen, römischen, keltischen und germanischen getan wird. Die Göttervorstellungen in den verschiedenen Kulturen haben tatsächlich unterschiedliche Hintergründe und damit Ausprägungen und hängen offensichtlich von zahlreichen Faktoren, wie natürliche Bedingungen, Mobilität etc. ab. Aber es ist immer wieder auffällig, wie ähnlich sich bei halbwegs kongruenten Rahmenbedingungen die kulturellen, sozialen und religiösen Entwicklungslinien sind.
Gerade bei der Betrachtung Mittelamerikas stellt sich mir vor diesem Hintergrund die Frage nach der Bedeutung des Kulturtransfers wieder neu.
Bildnachweise:
Alle Abbildungen in diesem Heft entstammen dem Buch: David M. Jones und Brian L. Molyneaux; Die Mythologie der Neuen Welt, EDITION XXL, Reichelsheim 2002
Literaturhinweise:
David M. Jones und Brian L. Molyneaux; Die Mythologie der Neuen Welt, EDITION XXL, Reichelsheim 2002
Popol Vuh, Das Buch des Rates, Mythos und Geschichte der Maya, Eugen Diederichs Verlag, 1998
Bernd Schmelz,Rüdiger Vossen, Auf Drachenspuren, Holos Verlag, Bonn 1995
Böran Burenhult, Kulturen der Neuen und Pazifischen Welt, Jahr-Verlag, Hamburg.