Runa Verdandi    

Fabelwesen

Diplomarbeit im Studiengang Schmuck und Gerät an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Pforzheim, 1997

Kapitel Der Drache S. 55 ff


Motto:
"Alle Drachen unseres Lebens sind vielleicht Prinzessinnen, die erwarten, uns schön und mutig zu sehen.
Alle erschreckenden Dinge sind vielleicht nur hilflose Dinge, die erwarten, daß wir ihnen helfen."
Rainer Maria Rilke

Der Drache

Sprachliche Begriffe haben immer etwas Definitorisches an sich, d.h. sie setzen Grenzen, während ein Bild offenen Charakter hat und damit weitreichender ist. Es läßt einem Einzelnen oder einer sozialen Gruppe die Freiheit, je nach Situation einen Assoziationsaspekt im Vordergrund zu sehen, ohne daß damit die anderen Bezüge einfach ausgeschlossen werden.

So wichtig das Symbol gerade in schweren Zeiten sein kann, es hat seine Bedeutung auch im alltäglichen Leben. In Krisenzeiten wie im Alltag zeigt sich der soziale Aspekt des Symbols. Es gibt dem Einzelnen die Möglichkeit, seine individuelle Erfahrung als überindividuelle zu sehen. Er erfährt sich so als zugehörig zu einer Gemeinschaft. Das Symbol erfüllt damit eine gemeinschaftsstiftende und -erhaltende Aufgabe. Auch Fabelwesen zeichnen sich durch einen starken symbolischen Charakter aus. Derselbe soll exemplarisch anhand des Drachens skizziert werden.

Die Ambivalenz des Drachensymbols

Ein und dasselbe Phänomen kann als "Leben ermöglichend, Leben fördernd, kurz: lebensfreundlich" und auch als "Leben zerstörend, Leben hindernd, kurz: lebensfeindlich" erscheinen. Ohne Wasser ist beispielsweise kein Leben möglich, aber Wasser kann auch zerstörerisch wirken und das Leben gefährden.

Aber diese Ambivalenz ist nicht nur bei Naturgewalten zu finden. Auch im sozialen, von uns Menschen geschaffenen Bereich, ist sie vorhanden. Soziale Macht kann ein Schutz menschlichen Zusammenlebens nach innen und außen sein, sie kann aber auch entarten, indem sie ihre Aufgabe vernachlässigt, und damit illegale und unsoziale Praktiken und Zustände ermöglicht, oder aber indem sie selber zur despotischen Macht wird und nur noch ihr eigenes Recht gelten läßt.

Auch beim Drachensymbol wird in gewissen Belangen der "+/-Effekt" festgestellt. Das Bild ermöglicht es, unterschiedliche Bezüge zusammen zu sehen. Man kann darum annehmen, daß sich innerhalb des Drachensymbols diese Ambivalenz auch in weiteren Zusammenhängen finden läßt.

Der Drache in China

In China finden wir den Drachen als Symbol, das in verschiedenen Zusammenhängen die Ambivalenz von lebensfeindlichen und lebensfreundlichen Erfahrungen umfaßt.
Die Drachen verursachen unter anderem Krankheit, sie können direkt, teilweise grundlos, menschliches Leben töten; sie sind aber auch eine wichtige Komponente der chinesischen Medizin, schützen Menschen und sichern seine Fruchtbarkeit.
Im gesellschaftlichen Bereich ist der Drache in erster Linie Bild des Kaisers, aber auch anderer großer Männer, wie Weiser oder Heiliger.

Er repräsentiert die gute, gesellschaftliche Ordnung, die segensreiche Herrschaft. in ihm zeigen sich aber auch gesellschaftliche Mißstände und unfähige oder despotische Herrschaftsverhältnisse. Er blieb als "Zeichen der sozialen Macht bestehen, auch dann wenn ein Kaiserhaus durch ein anderes gestürzt und verdrängt wurde. Oder anders ausgedrückt: die Institution des Kaisers blieb durch die Zeiten erhalten; die Möglichkeit, einzelne Kaiser oder Dynastien von der Macht zu entfernen, blieb aber offen" (Burkolter-Trachsel, M.: Der Drache. Bern 1981, S. 142).

Der Drache in Europa

Auch im alten Europa hatte der Drache zugleich lebensfreundliche und lebensfeindliche Eigenschaften. Der Drache scheint dann im vorreformatorischen Christentum eine eher negative Bedeutung erhalten zu haben, ein Hinweis darauf ist in den verschiedenen Heiligen, die Drachen bekämpfen, zu sehen. Die eigentliche Wendung zur praktisch nur noch negativen Wertung des Schlangen- und Drachenbildes dürfte die Reformation gebracht haben. Hier setzte sich das Drachenbild der Apokalypse durch. In der Darstellung des Drachen sah man die Personifizierung des Teufels und aller dämonischen, bösen Mächte.

Der Drache in Persien

In Persien finden wir in der zoroastrischen Tradition eine eindeutige Verurteilung des Drachensymbols. Der Drache und die Schlange gehören zur bösen Schöpfung des Ahriman. Sie müssen vernichtet werden, da sie eine ständige Bedrohung der guten Schöpfung darstellen. Von den iranischen Männerbünden wissen wir, daß es vor und während der Zeit der Entstehung der zoroastrischen Schriften auch eine andere, positivere Beziehung zum Drachensymbol gab. Er war ein wichtiges Emblem dieser Kriegerkaste. Wir finen in Persien somit zweierlei Einschätzungen des Drachensymbols. Die eine, die wir auch in den meisten anderen Gebieten gefunden haben, verbindet mit dem Bild des Drachen Lebensfeindliches und Lebensfreundliches. Die andere, die zoroastrische, sieht in diesem Bild eine Verkörperung des Bösen, die lebensfeindliche Schöpfung.

Zarathustras Dualismus

Das negative Bild des Drachen, das in manchen Religionsdarstellungen zu finden ist, beruht wahrscheinlich auch darauf, daß man Mythologie und Religion praktisch gleich setzte, und auf die Berücksichtigung aller anderen Aspekte des Kulturganzen verzichtete.
Das Lebensfeindliche wird immer eindeutig moralisch mit dem Begriff "das Böse" oder "die böse, gottfeindliche Macht" qualifiziert. Historisch gesehen ist die erste dieser Traditionen die zoroastrische in Persien. Sie hatte ziemlich sicher Einfluß auf die anderen, die zeitlich später erschienen. Aber selbst in Persien und im Christentum waren solche, den Drachen mit dem Bösen, dem Satan oder Teufel, identifizierende Denkrichtungen nie die einzigen. Es gab immer auch andere Traditionen oder Gruppen, die den Drachen in umfassenderen Sinn sahen.

Im Zusammenhang mit China ist man dieser Gefahr nie erlegen, da man durch eine ungebrochene Tradition wußte, daß der Drache eine positive Wertung erfährt, obwohl auch dort Drachenkampferzählungen bekannt sind.
Nun treffen wir bei Zarathustra die Verurteilung und Ablehnung der Traditionen der bereits erwähnten Männerbünde an. Diese Ablehnung gegen alles, was durch die Männerbünde repräsentiert wurde, gab dann Zarathustra mit seiner Lehre eine religiös-ideologische Basis. Das Religionssystem Zarathustras ist sehr abstrakt, an die Stelle leibhaftiger Götter treten geistige Wesen. Es ist streng dualistisch; auf der einen Seite das "Gute", auf der anderen das "Böse".

Zu welchem Zeitpunkt diese Identifikation des Bösen mit dem Drachen aufkam, ist schwer zu sagen. Zarathustras abstrakte Geistwesen wurden schon bald mit den Göttern der alten Volksreligion zusammen verehrt. Man darf darum annehmen, daß das Bedürfnis, auch die Welt des Bösen bildhaft zu sehen, schon bald aufkam.
Und da der Drache das sichtbarste Emblem der verhaßten Feinde, der Krieger war, war es naheliegend, ihn zum Bild des Bösen werden zu lassen. So wurde der Drachenkampfmythos zum Ausdruck des Kampfes gegen die Welt des Bösen.
Dieser "grundlegende Dualismus, welcher die Zuordnung des Drachen zur bösen Welt beinhaltet, scheint durch alle Zeit erhalten geblieben zu sein" (ebd., S. 156).

Dualismus als Motivation zum Widerstand

Eine Situation sozialen Drucks läßt in der unterdrückten Bevölkerung den Widerstand und vielleicht auch den Wunsch nach endgültiger Befreiung von den Unterdrückern aufkommen. Aber formuliert, in ein tragfähiges religiöses System gebracht, wird diese Hoffnung erst durch einen Priester und seine Anhänger und Nachfolger. Man dürfte sogar eher noch an eine Wechselwirkung denken. Zarathustra spürt die soziale Drucksituation, die bei ihm zu Erfahrungen (Offenbarungen) führt, welche seine neue, der alten entgegengesetzte Religion hervorbringen.

Diese neue Religion wird für die Unterdrückten dann zu einer Möglichkeit, ihre eigene Situation neu zu verstehen, und sie stärkt wahrscheinlich auch den Widerstands- oder Befreiungswillen. Aber weil die von der neuen Religion geweckten Hoffnungen wahrscheinlich nie wirklich in Erfüllung gingen, wurde sie in die Hoffnung auf eine kommende endgültige Wende aller Dinge umgestaltet. Im Spätjudentum und im Christentum finden wir dann einen ähnlich ausgeprägten Dualismus wie im Zoroastrismus.
Wieweit in den jüdisch-christlichen Apokalypsen zoroastrischer Einfluß geltend wurde und wieweit ähnliche soziale Situationen unter Aufnahme eigener Traditionen zu einem Dualismus führten, läßt sich kaum mehr feststellen. Wir finden auf jeden Fall auch hier Situationen sozialen Drucks, die sich jedoch in anderen Formen äußern als im Iran. Aber durch die ganze Geschichte der Kirche hindurch kann man immer wieder feststellen, daß der jeweilige Gegner "der Gottlose, der Antichrist oder der Teufel" ist. Der Teufel ist der "alte Drache", die Personifizierung des "Bösen".
Und leider zeigt uns die Kirchengeschichte und die Geschichte des "christlichen" Westens, daß man, sofern man die Macht besaß, selten davor zurückschreckte, das "Böse", beziehungsweise diejenigen, die man zu ihm rechnete, zu bekämpfen und zu vernichten.

Wechselwirkung zwischen Kultur und Symbol

Das dualistische Denken mag "seine Berechtigung haben, vielleicht sogar notwendig sein, wenn es um die geistige und soziale Mobilisation von Unterdrückten geht. Kommt der Dualismus aber an die Macht, oder ist er das Denken der Herrschenden, so kann er sich verheerend auswirken" (ebd., S. 160).
Das meist dann, wenn für Mißerfolge, für die man nicht gerade stehen kann, Sündenböcke gesucht und meist auch gefunden werden. Im Gegensatz zu dem bisher erwähnten dualistischen "+/-Effekt" des Drachenbildes erscheint der "umfassende Drache", der vielen im Zusammenhang mit dem Drachen stehenden Vorstellungen gerecht wird.
Diese Art des Symbolverständnisses weist aber auch auf die der betreffenden Kultur zugrunde liegende Denkstruktur hin. Eine Kultur, in der zentrale Symbole "umfassende" Bedeutung haben, ist in der Grundtendenz ihres Denkens ebenfalls umfassend. Wir haben eine Übereinstimmung von Symbol und Denken, Dasselbe läßt sich im Grunde genommen vom dualistischen Denken nicht sagen. Denn dort fällt der "+/-"Effekt auseinander.

Dem Drachensymbol wird meist nur noch der Minuscharakter zugeordnet. Zwar behält "auch hier das Symbol verschiedene Züge bei, sie sind aber alle nur noch auf der einen, meist der negativen, lebensbedrohenden Seite zu finden. Ein einseitiges Drachensymbol weist daher auf eine dualistisch denkende Kultur hin und umgekehrt: dualistisch denkende Kulturen haben die Tendenz, anstelle eines Symbols deren zwei zu führen"(ebd., S. 161).

Es stehen also einem umfassenden Symbolverständnis und einem umfassenden Denken ein einseitiges Symbolverständnis und ein dualistisches Denken gegenüber. Diese verschiedenen Grundtendenzen haben ihre ganz spezifischen Auswirkungen innerhalb der Kulturen.

In Kulturen, die ein umfassendes Drachenbild aufweisen, ist grundlegendes Ziel, die kosmische und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Es ist ein Unterschied, ob das Ungeordnete, das Chaotische, als das Bedrohliche oder als das Böse schlechthin erfahren wird. Dort, wo es das Bedrohliche darstellt, ist es zugleich ein notwendiger Teil der Gesamtwirklichkeit. Es ist potentielles Leben.

Es muß, damit die Ordnung, die Harmonie, aufrecht erhalten bleibt, immer wieder in Schranken gewiesen werden. Es gehört aber zum Ganzen, es kann nicht beseitigt werden, ohne daß das gesamte Welt- und Sozialgefüge gestört und zerstört wird.

Betrachtet eine Kultur das Ungeordnete, das Chaotische, als das "Böse" schlechthin, so ergeben sich ganz andere Konsequenzen. es ist darum überflüssig, es wird verachtet und angefeindet. In letzter Konsequenz vernichtet muß das "Böse" schließlich völlig ausgemerzt werden, es ist ja nur so etwas wie ein Krebsgeschwür am gesunden Körper der guten Welt. Anders ausgedrückt, entfernt man den Teufel oder den Drachen aus der Welt, hat man die eigentliche, die wirkliche Welt. In die Bildsprache übertragen heißt dies, der Drache kann nur noch als Repräsentant des Bösen auftreten.

Im umfassenden Denken sind es de Bedrohungen, die Störungen des kosmischen und sozialen Lebens, wie wir gesehen haben, eine ständige Realität. Sie werden auch in diesem Gesellschaften nicht einfach hingenommen. Aufstände werden auch in China wenn möglich niedergeschlagen, auch versucht man Störungen mit rituellen Mitteln einzudämmen.

Aber es besteht keine grundsätzliche Tendenz, Bedrohungen und Störungen ein für allemal auszurotten. China hat sogar gezeigt, daß die Verankerung der kaiserlichen Herrschaft in einem Symbol, das Lebensbedrohliches und Lebensfeindliches umfaßt, die Kritik am Kaiser und seinem Herrschaftsstil ermöglichte.

Die religiöse Intoleranz ist wahrscheinlich nirgends so hoch wie in dualisitisch-apokalyptisch ausgerichteten Religionen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, daß orthodoxe Christen bedeutend militaristischer eingestellt sind als liberale. Sie zeigen eine Tendenz, die geforderte christliche Liebe nur ihrer eigenen Gruppe zukommen zu lassen, während für die anderen Gruppen die Aggression reserviert bleibt. Andererseits hat das dualistische Denken eine grundsätzliche Sozialkritik möglich gemacht.

Die Vorstellung einer anderen, besseren - eben der "guten" - Welt, hat Kräfte und Bewegungen freigesetzt, die sich für die Einzelnen und die Erde segensreich auswirkten. Nur das dualistische Denken hat es ermöglicht, daß in gewissen Kulturen ein vollständiger sozialer Wandel stattfinden konnte und stattgefunden hat.

Die Gefahr aber bei jedem dieser Wandlungsprozesse ist und bleibt, daß die neu an die Macht gekommenen, dem Freund-Feind-Schema, das sie für ihre Mobilisation benötigten, nicht entkommen zu können.

Der gewaltige Fortschritt der modernen Medizin wurde ebenfalls durch das dualistische Denken mit beeinflußt. Krankheit und Tod gehören zur Welt des Bösen, der Kampf gegen sie ist somit gerechtfertigt. So beruht auch unser technischer Fortschritt sicher zum Teil auf diesem dualistischen Grundansatz unseres Verhaltens. Daß wesentliche Errungenschaften immer wieder zuerst auf dem militärischen, dem feindvernichtenden Gebiet gemacht werden, kommt wahrscheinlich auch nicht von ungefähr.

Ein illustratives Beispiel zu den verschiedenen Verhaltensweisen bietet die Entdeckung des Pulvers. In China, wo man Pulver schon seit den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung kannte, verwendete man es für Feuerwerke - in Europa führte seine Entdeckung zur Konstruktion von Kanonen und Musketen.

Das dualistische Verständnis hat auch seine Auswirkungen im persönlichen Bereich. Das eigene Böse muß ebenfalls beseitigt werden. es wird verdrängt. Aber es bleibt trotzdem wirksam.
C.G. Jung drückt dies in einem Bild so aus:

"Ein liebender Glaube an eine solche Gestalt (gemeint ist Christus) kann natürlich nicht umhin, sein Haus vom schwarzen Unrat zu reinigen. Aber irgendwo muß sich letzterer anhäufen, und wo dieser Haufen liegt, da wird auch die gesündestes und schönste Natur von üblem Gestank verpestet."

Für den "personellen Bereich hat die Psychoanalyse das Modell der Verarbeitung des sogenannten 'Bösen', das heißt des Unbewußten, geschaffen" (ebd., S. 167). Dies gerade aus der Erkenntnis heraus, daß die Vernichtung, beziehungsweise Verdrängung, des Dunkeln nicht dessen Ende bedeutet.

Aber diese Erkenntnis sollte nicht nur im Individuellen gelten, sie wäre auch im sozialen Bereich genauso notwendig. Auch dort wäre es wichtig, das "Böse" nicht mehr vernichten zu wollen, sondern es zu verarbeiten und zu integrieren, um es zu einem Teil des Ganzen zu machen - dem umfassenden Drache gleich, dessen bedrohliche, finstere Seite ebenso Teil des Gesamten ist.

So ist es eine erfreuliche Entdeckung, daß in verschiedenen neueren Kinderbüchern der Drache eine neue, fast durchwegs positive Rolle erhält. Ein Beleg dafür, daß in diesen Büchern die Erkenntnisse der Psychoanalyse zur Wirkung kommen, oder aber, daß Schriftsteller ein besonders gutes Gespür dafür haben, was eine Zeit nötig hat.

Das Symbol und der Mensch

Das Symbol umfaßt das, was dem menschlichen Geist durch Darstellungen, durch das Hören oder Lesen von Texten, und durch direkte Erlebnisse vermittelt wird. All das findet seine Einheit im Symbol. Auf der einen Seite umfaßt diese Einheit die vielfältigsten Erfahrungen, auf der anderen Seite schwingen bei einer bestimmten Erfahrung dank dem Symbol immer andere Bezüge mit. So werden einzelne Erfahrungen nicht außerhalb eines umfassenden Kontextes erlebt.
Das Symbol begleitet den Menschen bewußt und unbewußt in seinem Leben. Es ist da im verlaufenden Alltag. Es ist aber auch da, wenn das Leben einer Zerreißprobe unterzogen ist. Wahrscheinlich erweist gerade hier das Symbol seine integrierende kraft. In Situationen, in denen Worte allein nicht genügen, können es Bilder, umfassende Bilder sein, die den Menschen nicht in einem Lebensaspekt versinken lassen, sondern ihm zurückhelfen können zu einem gesamtheitlichen Leben.

Das bildhafte Denken vermag gerade Uneinheitliches zusammenzutragen. Unser Alltagsdenken besteht aus logischem und bildhaften Denken, wobei das zweite manchmal sehr unbewußt vorhanden sein kann. Im Drachen spiegelt sich die Grundtendenz des bildhaften Denkens einer Kultur.
Auf keinen Fall sollte auf das Symbol verzichtet werden, weil die darin enthaltenen Erfahrungen sich nicht einfach in die logisch-begriffliche Sprache überführen lassen. Vieles würde und müßte dabei verloren gehen, nicht zuletzt die dem Symbol eigene Offenheit. Der Verzicht auf die Symbole würde aber auch den Menschen nicht in seinem ganzen Wesen ernst nehmen. Er braucht, um sein Leben führen zu können, beides, die bildhaften, symbolischen Vorstellungen wie auch die praktisch-logischen Fähigkeiten. Wer den Menschen erreichen will, muß ihn auf seiner logischen und seiner bildhaften Denkebene ansprechen.

Mit Fabelwesen werden gleichsam also auch Symbole geboren. Symbole, die sowohl im Leben des Einzelnen als auch im kulturellen Leben wirken: "Der Drache ist keine zoologische Spezies, der Drache ist aber eine Wirklichkeit. Der Mensch macht diesen Wirklichkeit, wird aber in seinem Denken und Handeln durch sie beeinflußt." (ebd., S. 86).