Drachen in und um Schwäbisch Hall

von Stephanie Seitz und Monika Weber

1. Hintergrund-Informationen zu den wichtigsten Drachen von Schwäbisch Hall:

St. Michael in der Turmvorhalle.

"Die Turmvorhalle atmet den Geist der Stauferzeit. Nach drei Seiten durch edle Rundbogen geöffnet, werden die vier Gewölbeteile in der Vierpaßsäule verbunden und von ihr gehalten. Die untere Schicht des Kapitells wird durch Kelchblätter gebildet, gefolgt von einem Perlband mit durchschlungenen Voluten. Schmale Felder mit Palmetten, Drachen, Greifen und in sich in den Schwanz beißenden Schlangen folgen. Akantusblätter, Palmetten und Rankwerk schließen das Kapitell mit einer abgerundeten Deckplatte ab. Um 1290 wurde das Standbild des Erzengels Michael in die Vierpaßsäule eingefügt. Auf schmaler Konsole stehend, stößt er dem sich krümmenden Drachen seinen Speer in den Rachen. Die Krone auf seinem Haupt ist wie eine Mauerzinne geformt, Hinweis auf die ummauerte Stadt oder auf das himmlische Jerusalem?"

(Aus dem Informationsheft zur Kirche St.-Michael)

 

Marktbrunnen, auch Fischmarktbrunnen genannt. 1509 bis 1511 gebaut. Architekt war Konrad Schaller, Bildhauer war Hans Beyscher.

Es ist eine Wandbrunnen-Anlage, die in eine 3,8 Meter hohe und 7 Meter breite Stützwand integriert ist, die das natürliche Gefälle des abschüssigen Terrains einstufig auffängt und gleichzeitig vor dem Brunnen eine kleine platzähnliche Fläche einzurichten erlaubt.

Das Wandfeld gliedert sich in fünf Kompartimente mit drei Bildreliefs.

Auf der linken Seite ist Samson mit seinem Löwen dargestellt.

In der Mitte findet sich St. Michael mit dem Drachen. Das Michaelsrelief ist gegenüber den äußeren leicht hochgedrückt, so daß sein Baldachin das Abschlußgesims durchstößt. St. Michael ist als Schutzheiliger des Reiches und Haller Stadtpatron und Satansbezwinger die Hauptfigur des Brunnens. Der Engel stützt sein rechtes Knie auf das auf dem Rücken liegende Ungeheuer. Das linke Bein ist abgespreizt und angewinkelt. Er umfaßt die Lanze mit beiden Händen und rammt sie von links oben dem Drachen in den Hals. "Mit seinen menschlichen Armen greift der Satan nach dem Lanzenschaft, links hält er Michaels Gewand im Klammergriff seiner Krallen. Obwohl vom Satan tatsächlich nicht mehr als der schauerliche mit flossenähnlichem Halskragen ausstaffierte Kopf und die fuchtelnden Arme mit Fledermausflügelstümpfen zu sehen ist, gelingt dem Bildhauer hier die Suggestion eines dramatischen Kampfes am Besten, Vorlagen waren ein Kupferstich von Martin Schongauer und Dürer-Holzschnitte zur Apokalypse. Nur die Angespanntheit und Verbissenheit, mit der Dürer den Engel ausstattete, und die Wucht mit der Michael die Lanze führt, indem er den Schaft der Waffe mit weit über den Kopf erhobenen Armen ergreift, verwandelt Beyscher - hierin Schongauer näher - in ein mildes gleichsam mitleidiges Stoßen - ein für alle drei Reliefs typischer Zug der Bildregie, dem der abgemilderte Gesichtsausdruck der Figuren entspricht." (Zitat aus einer Kunstgeschichte Schwäbisch Halls)

Auf der rechten Seite ist der Heilige Georg mit dem Drachen dargestellt.

"Der geharnischte Ritter Georg >ritt< nicht auf dem Lindwurm, er stand vielmehr über ihm, stützte seine linke Hand auf den Kopf des Tieres und holte mit der erhobenen Rechten zum Schwertschlag gen die Bestie aus, die Schwertklinge lag schräg zur Schulterlinie auf dem linken Oberarm. Tierkörper in Gestalt eines kriechenden vom Arm des Helden zusätzlich zu Boden gedrückten Fabelwesen mit schlottriger buckliger Haut und mächtigen Krallen. Darstellungen des Drachenkampfes ohne Pferd sind äußerst selten."

(selbe Quelle)

Leider wurden die Originalfiguren des Brunnens bei mehreren Restaurationen zerstört und durch Kopien ersetzt. Fragmente der Originale finden sich heute noch im Hällisch Fränkischen Museum.

Die meisten Fragmente wurden allerdings als Schutt weggeworfen. Die Reliefs, wie sie heute zu sehen sind stammen aus den Jahren 1962 bis 1964, als die gesamte Brunnenwand abgerissen und durch eine Kopie ersetzt wurde.

 

Oberhalb der Brunnenbrüstung befindet sich ein Gitter aus dem Jahr 1621, das die Terrasse des Café am Markt sehr malerisch zum Brunnen hin abschließt. Im Gitter sind diverse Ornamente eingearbeitet. Darunter auch diese Drachenköpfe.

 

Das Gebäude des Café am Markt ist reich mit bunten Stuckarbeiten verziert.

Passend dazu gibt es zwei bunte Drachen als Wasserspeier.

Leider war es uns nicht möglich etwas über Alter und Herkunft dieser Verzierung herauszufinden.

Die Drachen bestehen fast nur aus dem Kopf. Der Schwanz ist eng hinter dem Nacken angebracht. Die Wasserrohre stellen den Körper dar und sind entsprechend grün gestrichen.

Einen ähnlichen Wasserspeier habe ich später an einem anderen Gebäude am Kocher entdeckt. Er bestand nur aus dem Kopf mit dem aufgerissenen Maul und war nur verzinkt. Ich nehme an, daß es einmal eine Kunstschmied gab, der diese Drachen im Angebot hatte.

 

Wer heute nach Schwäbisch Hall kommt, kann diesen Drachen leider nicht mehr besichtigen. Nur ein Bild zeigt noch, wie die Fassade des legendären Gasthof Dreikönig mit dem Drachen aussah, bevor man ihn völlig ausbeinte und seines Daches beraubte. Ich hoffe er wird eines Tages wieder aufgehängt.

Der ehemalige Besitzer Gasthofes hieß Karl Lindner. Wir vermuten, daß er der Urheber der Idee war, einen Schildhalter in Form eines Lindwurms zu verwenden.

 

Dieses Motiv taucht in und um Schwäbisch Hall öfters auf.

 

Diese farbliche Negativversion des Dreikönig-Schildhalters gehört zum Gasthof Sonne in der Gelbinger Gasse.

Wir haben die Besitzerin befragt, was es mit dem Drachen auf sich hat. Sie sagte uns, der Gasthof sei um 1960 herum renoviert worden und sie denkt, das Schild wäre genauso alt. Auf die Frage, warum es zwei gibt nannte sie wieder die Theorie vom Schmied in der Region.

Wir wissen nicht, wie alt die Schilder wirklich sind und wer hier von wem abgekupfert hat.

Tatsache ist aber, daß es mindestens noch einen dieser Lindwürmer gibt,

und zwar als Schildhalter des Gasthof Ochsen in Vellberg.

Leider hatten wir keine Zeit mehr in Vellberg vor Ort zu recherchieren. Bei meiner Arbeit im Archiv des Haller Tagblatt fiel mir jedoch dieses Bild in die Hände. Es zeigt eine Verzierung über einem Tor des Vellberger Schloßes. Ob es wirklich Drachen sind muß jeder für sich entscheiden.

In der Umgebung soll es auch noch eine St. Georgskirche und eine weitere St. Michaelskirche geben. Außerdem gibt es nicht allzu weit von Schwäbisch Hall eine alte Kapelle mit einem besonders schönen Georgs-Altar. Leider war unser Urlaub nicht lange genug um von all diesen Drachen Fotos zu machen. Es hätte wohl auch den Rahmen unseres Vortrags gesprengt Nur der Vollständigkeit halber seien sie hier erwähnt.

Auch in Schwäbisch Hall selbst gibt es noch weitere Drachendarstellungen, von denen ich aber leider keine scannbaren Bilder habe, vor allem in St. Michael und im Bereich des Gymnasiums St. Michael.

Wer will kann selbst auf die Suche gehen. Ich entdecke ständig neue Drachen, vielleicht geht es Ihnen auch so.

2. Theorien, warum es in Hall so viele Drachendarstellungen gibt:

Offensichtlich sind in Schwäbisch Hall besonders die Drachentöter beliebt. Das Patrozinium des Heiligen Michael impliziert sehr viele Michaelsstatuen. Doch Michael gibt es nicht nur als Drachentöter. Er wird auch als Seelenwäger und damit Sinnbild für die Gerechtigkeit dargestellt.

Unsere Nachforschungen haben noch andere mögliche Ursachen für die vielen Drachen ergeben.

Im Stadtführer wird zum Beispiel die Burg Limpurg erwähnt. Sie war der Hauptsitz der Reichsschenken von Hall. Der Autor leitet dabei den Namen der Burg von Lindwurm ab. In der Stadtchronik werden zwar auch noch andere Namensherleitungen erwähnt, z.B. das Lateinische Aux linitancea oder die Begriffe Leim oder Lehm. Auch der Limes, der im Mainhardter Wald noch teilweise erhalten ist, könnte als Namensgeber hergehalten haben, zudem ein Teil davon auch Teufelsmauer genannt wurde.

Tatsache ist aber, daß es mehrere Limpurgs (oder Limburgs) gibt, und das mindestens mit einer von ihnen eine Lindwurmsage verbunden ist.

In dem Buch "Vom Mummelsee zur Weibertreu" von Manfred Wetzel aus dem Theiss-Verlag, 1997;

ISBN 3-8062-1307-0, findet sich die Geschichte "Der Drache auf der Limburg".

Der Archivar im Stadtarchiv stellte uns dieses Buch als Sammlung von Sagen aus dem Hohenlohischen vor.

Es erzählt die Geschichte eines Drachen, der in einem Felsenloch auf der Limburg (gemeint ist Limburg bei Weilsheim) lebte. Er löste Erdbeben aus und jagte Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts.

Man opferte daraufhin jeden Tag zwei Menschen, die durch das Los bestimmt wurden, um den Drachen am verheeren des Landes zu hindern und wieder auf die Felder gehen zu können, da sonst eine große Hungersnot drohte.

Eines Tages fiel das Los auf die Tochter des Kaisers. Da kam ein Ritter und stellte sich dem Drachen.

Er tötete den Drachen in einem langen harten Kampf mit seiner Lanze. (Ohne Tricks!!!)

Der Ritter verschwand ohne Dank abzuwarten. Man hielt ihn für St. Georg oder für St. Michael.

Deshalb baute man auf dem Gipfel des Berges eine Kapelle. Später wurde dort dann eine Burg errichtet, die man nach dem Lindwurm Limburg (Limpurg?) nannte.

Eine weitere Sagengestalt, auf die die Drachendarstellungen zurückzuführen sein könnten, ist der Haalgeist.

Er ist eine reine Lokalgestalt, die noch heute von den "Siedern" in einem großen Fest gefeiert wird, dem "Hoolgaschtfescht".

Der Haalgeist wird in vielerlei Gestalten beschrieben. Unter anderem als schwarzer Pudel, zottiges Kalb, Teufel oder als finster blickendes Ungeheuer mit Drachenhals und Löwentatzen.

Er erschreckte viele Menschen. Nur die Salzsieder hatten keine Angst vor dem Dämon. Sie verspotteten den Geist, und wurden nicht selten dafür streng bestraft.

Er war aber nicht nur eine Schreckensgestalt, sondern galt auch als Warner und Vorbote künftigen Unheils. "Drohte eine Überschwemmung, so kam er des Nachts vom Kocher her in die untere Stadt, schwenkte eine Laterne und rief mit lauter Stimme: >Davelä, raumt aus, ¢ s kummt e groß Wasser!<

Mit dem >Davelä< meinte er die Salzsieder , bei denen der Name David sehr gebräuchlich war.

Und so weit der Haalgeist mit seinem Warnruf die Stadt hinaufging, so weit trat drei Tage später der Kocher über die Ufer."

In sehr alten Darstellungen ähnelt der Haalgeist besonders einem Lindwurm oder dem Teufel. Er liegt dann unter dem Tisch der Schenken und versetzte sie in Angst und Schrecken, während die Sieder fröhlich tafeln.

Nach Darstellung der Sieder war der Haalgeist nur gegenüber den Schenken böse und konnte einen guten Spaß wohl verstehen.

In neuerer Zeit wird er meist als gebäugte Gestalt mit Ziegenbart und Hörnern Dargestellt. Die bekannteste Darstellung ist eine Statue von Hermann Koziol.

 

Die Stadtchronik gibt noch einen guten Hinweis auf Drachen.

Steffi fand darin Informationen zu den Wappen der Haller Adligen.

Es wurden dabei (wie überall) Löwen, Greife, Bären, und Wölfe als Tiere dargestellt. Aber natürlich auch Drachen. Die Wappentiere entsprachen Feinden, gegen die die Adligen gekämpft hatten, um das Volk zu schützen. So zeigte das Briefpapier des König Areus einen Adler, der einen Drachen in den Klauen hält.

Mit der Zeit wurden die Tiere auch zum Anzeigen des Charakters der Fürsten verwendet und mit Beiwerk geschmückt.


Außerdem wird in der Chronik ein Komet erwähnt (häufig mit Drachen verwechselte Erscheinung) der 1557 "in Matio" am Himmel erschien und "dessen Schein sich stets an den 4 Orten der Welt nach gewendet, hat gewäret ungefähr 3 Wochen."

Mit dieser Erscheinung wurden Todesfälle in Verbindung gebracht, besonders der des Markgrafen Albrecht, der als wild, zügellos, tyrannisch und grausam dargestellt wird.

Nicht zuletzt wurden in der Nähe von Schwäbisch Hall, in einem Steinbruch bei Vellberg Dinosaurierknochen gefunden, die auf mögliche "Drachen" hindeuten, deren Nachfahren vielleicht noch zur Zeit der Schenken in der Gegend die Menschen erschreckt haben könnten.

 

Fazit: Wir können nicht mit letzter Bestimmtheit sagen, ob die Drachen in Hall nun Aberglaube, Drachenverehrung, Heiligenverehrung, oder einfach Schmuck sind. Zumal man in Hall auf die Erklärung, man erforsche die "Drachen von Hall", nur die ungläubige Frage erhält: "Drachen? Welche Drachen?"

Aber es gibt Anzeichen der Besserung. Seit ich in Schwäbisch Hall wohne traten Drachen beim Kinderfest auf (Stelzentheater), wurden sie in Musicals (Ritter Rost, bzw. demnächst in Jim Knopf) als besserungswürdige Schlawiner besungen, in Märchen bekämpft (Die drei Söhne des Fischers) und als Thema für Kinderaktivitäten des Spielmobils verwendet (Kino und Spiele).

Die Haller wissen es noch nicht, aber ich glaube Schwäbisch Hall entwickelt sich zu einem Schutzgebiet für Drachen. Bibersfeld (Mein genauer Wohnort) ist bestimmt einer.

 

 

Ein Hohenlohischer Kinderreim lautet:

Lindwurm, Lindwurm, grausig's Tier
hascht scho drei, vier g'fressa,

den fünfta hascht em Rache
dem sechsta wirscht's ao so macha."